Originalautorin ist Michèle Artigue. (Übersetzt ins Deutsche von Reinhild Kokula, Universität Würzburg)
Infinitesimale spielten eine wichtige Rolle in der Entstehung und Entwicklung der Differential- und Integralanalysis. Die offensichtliche Leistungsfähigkeit der Analysis verhinderte allerdings nicht die wiederkehrenden heftigen Debatten über die Natur dieser Objekte und die Zulässigkeit ihrer Nutzung. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts, als die Konstruktion der reellen Zahlen aus den ganzen Zahlen und die moderne Definition des Grenzwertkonzepts eine solide Grundlage für Differential- und Integralanalysis lieferten, wurden Infinitesimale und die damit zusammenhängende Metaphysik zurückgewiesen und ihr Nutzen wurde als synonym zu vergangenen und wenig präzisen Praktiken angesehen. Allerdings wurde die Sprache der Infinitesimalen weiterhin benutzt, z.B. in der Physik und sogar in der Mathematik. Sie verschwand nie vollends aus dem informellen Diskurs und dem heuristischen Denken einer Vielzahl von Forschern.
Ist diese Sprache also wirklich inkompatibel mit der mathematischen Präzision? Welche interessanten und speziellen Dinge hat sie zu bieten, die ihr Fortweilen erklären? Nichtstandard-Analysis wurde im 20. Jahrhundert entwickelt und lieferte Antworten auf diese Fragen und gab den Infinitesimalen die Möglichkeit, sich zu rächen.
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